Offener Brief an Schulen mit Deutschunterricht als Minderheitensprache 2023/24
Schulleiterinnen und Schulleiter
von Schulen mit Deutschunterricht
als Minderheitensprache
Sehr geehrte Damen und Herren,
das neue Schuljahr 2023/2024, das am 1. September beginnt, wird bereits das zweite Jahr in der Geschichte des freien Polens nach 1989 sein, in dem die Kinder polnischer Staatsbürger mit deutscher Nationalität systematisch diskriminiert werden.
Die am 4. Februar 2022 in Kraft getretene Verordnung des Ministers für Bildung und Wissenschaft, mit einer Reduzierung des Deutschunterrichts als Minderheitensprache von drei auf eine Stunde pro Woche, hat zur Folge, dass etwa 55.000 Kinder, die Deutsch als Minderheitensprache lernen, in polnischen Schulen weiterhin diskriminiert werden. Als Vertreter der deutschen Minderheit bemühen wir uns ständig, dass die Verordnung, die zu dieser Situation geführt hat und die sich direkt gegen die Kinder und ihre Bildungschancen und damit auch gegen ihre Zukunft richtet, aus dem Verkehr gezogen wird. Leider hat die Regierung der Republik Polen trotz vieler Proteste, verschickter Briefe und Rechtsgutachten diese diskriminierende Entscheidung bis heute nicht geändert.
Trotz der Gespräche mit dem Minister Czarnek und seiner Versprechen am 30. November 2022 in Warschau und am 22. Januar 2023 in Oppeln wird diese diskriminierende Verordnung, die nur die Kinder der deutschen Minderheit betrifft (andere nationale und ethnische Minderheiten, die in Polen leben, haben weiterhin Zugang zu 3 Unterrichtstunden Minderheitensprache pro Woche), wurde nicht zurückgezogen. Gleichzeitig handelt es sich um genau diese Kinder, die in Zukunft nicht nur ein positives Bild von Polen als einem Land aufbauen sollen, das tolerant und respektvoll gegenüber seinen Bürgern ist, unabhängig von ihrer Herkunft und Nationalität, sondern auch die positiven Beziehungen zwischen Polen und Deutschland pflegen und entwickeln sollen, die für die Gestaltung des zukünftigen Europas so wichtig sind. Wir halten es für unzulässig, dass anstelle von diplomatischen Lösungen die diskriminierenden und folglich auch die Kinder stigmatisierenden Lösungen eingeführt werden, die als Instrument für schlecht durchdachte politische „Verhandlungen“ gedacht werden. In einer Situation, in der die Kenntnis einer Sprache eine soziale Schlüsselkompetenz und für Minderheitengemeinschaften eine Voraussetzung für das Überleben ihrer Kultur, ihres Erbes und ihrer Identität sind, lösen solche Maßnahmen nicht nur nichts, sondern zerstören direkt die Errungenschaften vieler Generationen von Bürgern der Republik Polen.
Angesichts der Schwierigkeiten, mit denen die Schulen und die Deutschlehrerinnen und -lehrer konfrontiert sind, möchte ich mich bei allen lokalen Behörden, Gemeindevorsteherinnen und Gemeindevorstehern, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Stadtpräsidentinnen und Stadtpräsidenten, Schulleiterinnen und Schulleitern sowie den Verantwortlichen der Trägervereine der Bildungseinrichtungen bedanken, die in Anerkennung des Wertes der Sprache im Schuljahr 2023/2024 beschlossen haben, zusätzliche Stunden für Deutsch als Minderheitensprache (zusätzlich zu einer Pflichtstunde) zu finanzieren oder den zweisprachigen Unterricht einzuführen. Danke, dass Sie in Ihren lokalen Gemeinschaften ein deutliches Zeichen setzen, dass Kinder an erster Stelle stehen und dass Sie Diskriminierung und Stigmatisierung aus nationalen Gründen nicht dulden! Und ich möchte mich in besonderer Weise bei den Lehrern und Eltern bedanken, für die die deutsche Sprache einen Wert hat, die sie an die nächste Generation weitergeben wollen und die sich trotz aller Schwierigkeiten für ihr Überleben einsetzen.
Ich danke Ihnen für Ihr Engagement für die deutsche Sprache in einer Situation, in der wir einerseits seit über einem Jahr mit einer Reduzierung des Deutschunterrichts zu tun haben, andererseits wissen wir, dass die Arbeitnehmer mit guten Deutschkenntnissen auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Allein in der Woiwodschaft Oppeln haben sich in den letzten Jahren mehrere Unternehmen mit deutschem Kapital oder deutschsprachigen Kunden angesiedelt, wodurch etwa 2.500 Arbeitsplätze geschaffen wurden, die Deutschkenntnisse erfordern.
Die Bildung ist nicht nur auf die Schule beschränkt. Daher möchte ich Sie einladen, sich die außerschulischen Angebote der Organisationen der deutschen Minderheit anzuschauen, die Sie u.a. auf der Bildungsplattform der deutschen Minderheit finden: www.supereule.pl. Wir möchten Sie über aktuelle Probleme und Fragestellungen im Bildungsbereich informieren, Sie aber auch dazu inspirieren, das außerschulische Bildungsangebot der deutschen Minderheit zu nutzen.
Auf dieser Plattform finden Sie ein breites Angebot an Aktivitäten, Workshops, Wettbewerben und Schulungen für alle Altersgruppen sowie die Bestimmungen der polnischen und europäischen Gesetzgebung und Kommentare zur Organisation des Minderheitenunterrichts. mit Kommentaren über die Organisation des Minderheitenunterrichts. Auf besondere Weise möchten wir Sie auf das innovative Projekt LernRAUM.pl aufmerksam machen, in dem Sie Ihre Sprachkenntnisse verbessern und gleichzeitig Ihre verschiedenen Leidenschaften und Interessen entwickeln können.
In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es keine privilegierten Standpunkte, daher danke ich Ihnen dafür, dass Sie bei jungen Menschen eine Haltung der Offenheit gegenüber der Welt und anderen Menschen fördern. Gleichzeitig bitte ich Sie, die deutsche Sprache und die deutsche Kultur weiterhin zu fördern. Für das neue Schuljahr wünsche ich allen Schülerinnen und Schülern viele Möglichkeiten, in einer Atmosphäre des gegenseitigen Verständnisses zu wachsen, und ich wünsche uns allen eine Gemeinschaft, in der das dialogische Projekt von morgen gestaltet wird.
Hochachtungsvoll
Rafał Bartek
VdG-Vorsitzender
Original in polnischer Sprache ⇒ List-Przewodniczacego-ZNSSK-w-Polsce-do-szkol-z-nauczaniem-j.-niem.-jako-j.-mniejszosci-2023-24-1.pdf (vdg.pl)